Erschöpfung

Eine Vokabel macht Karriere. Alle und alles Mögliche scheinen  erschöpft zu sein. Die ganzen erschöpften Menschen, erschöpfte Ressourcen, Märkte, erschöpfte Wasservorräte nach einem langen Sommer, Erschöpfungszustände im Körper und Geist… Zum Glück hat die Kreativität, das Schöpfen von Neuem, so unwahrscheinlich Konjunktur. Wirklich? Die individuelle Kreativität? Wo denn? Bei genauer Betrachtung ist auch sie nur eine Ware, die uns verkauft wird. Schablonen sowie Stempel für das pseudo individualisierte Leben gibt es zu Hauf, Anleitungen zum Kreativsein auf allen Plattformen. Die Konditionierung zum Anwender und Verbraucher ist restlos geglückt. Auch die Aromatherapie hat sich den Gesetzen des Marktes gehorchend in einer äußerst lukrativen Nische zwischen allerlei bunten Rezeptbüchern, Fläschchen, Rollons, Riechstiftchen (lauter Plastikmüll, jaja wir sind alle keine Umweltengel, wenn es um den eigenen Profit geht, da nehem ich mich auch an der eignen Nase) und Duftlampe bzw neuerdings selbstverständlich Diffusoren (mit viel Plastik und Elektronik drin und dran) gemütlich gemacht. Wo bis vor zwanzig Jahren noch kaum Literatur zu bekommen war, viel Selbsterfahrungs- und Eigenverantwortungswille beim Umgang mit ätherischen Ölen nur selten schlimme Konsequenzen zeitigte, hat sich ein Buchmarkt etabliert, der für Neulinge kaum zu überblicken ist und die Experimentierfreude durch Expertenautorität streng auf die Plätze verweist. Beinahe wöchentlich erscheinen neue Rezeptsammlungen mit Bildchen, Grafiken und Features, Links zum Vernetzen, Kärtchen zum Raustrennen, Hochglanzposter zum Tapezieren. Ausbildungen, Seminarangebote, Kongresse, Verkaufsveranstaltungen, Anwenderschulungen, schillernde Messeauftritte der Firmen und sogenannten Akademien runden für die Ambitionierten das Angebot ab – selten ist was wirklich Neues dabei. Fröhlich bunt, verheißungsvoll durchgestylt mit pastelligen Grafiken boomt meine Branche vor sich hin, gibt sich naturnah und alternativalles ist care sowie angeblich nachhaltig und wird doch immer mehr und mehr und mehr und macht mich mit jedem neuen Katalog, den ich von meinen Öllieferanten bekomme immer nachdenklicher. Zum Wachsen verdammt. Der Geist ist aus der Flasche, die Erschöpfung mitkalkuliert. Die Entwicklung des Preises von Immortellenöl in den letzten zwanzig Jahren: Bestes Beispiel von vielen, wie sehr Aromatherapie zur Hochleistungskuh geworden ist und jetzt gemolken wird auf Teufel komm raus (und ich nenne weder sektenartige Vertriebssysteme noch ketzerische allheilversprechende Anwendungsmethoden hier beim Namen).Es ist einfach zu bequem: Rezepte nachbauen oder am besten Wohlfühlmischungen fertig kaufen. Die eigene Schöpferkraft wird dabei nicht angeregt. Wozu auch? Es gibt ja so viele Patentrezepte gegen Erschöpfung und es leben so viele professionell Kreative davon!
Wir lassen uns gerne an der Nase herumführen, am liebsten natürlich von anbetbaren Gurus, die sich in den social Media  so schön nahbar geben können. Von Ihnen bekommen wir dann noch das, was weder zwischen zwei Buchdeckel passt, noch aus dem Diffusor nebelt: Zuwendung und Aufmerksamkeit, und wenn es nur in Form eines angeklickten Daumens unter unseren Posts, Instafotos, als Steigerung ein Emoji in den Kommentaren ist. Achso: natürlich war früher nicht alles besser, vieles einfacher, manches komplizierter, sicher alles anders. Der Fortschritt, der eitle alte Mann, merkt es selten, wenn er ein Rückschritt oder gar ein Fehltritt ist.

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